BGH, Urteil vom 4. März 2020 – IV ZR 110/19
In dem Urteil vom 4. März 2020 (IV ZR 110/19) befasst sich der BGH unter anderem mit der Auslegung von Ziff. 9.1 ULLA, welche abweichend von §§ 44 Abs. 2, 45 Abs. 1 VVG bestimmt, dass den Anspruch auf Versicherungsschutz „nur die versicherten Personen“ geltend machen können. An dieser Verfügungsbefugnis ändere auch eine etwaige Insolvenz des VN nichts.
Im zugrundeliegenden Sachverhalt machte der Kläger, ehemaliger Geschäftsführer der VN, am 17. November 2014 Ansprüche aus einer Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung für leitende Organe geltend. Er forderte die beklagte Versicherung auf, ihm Deckungsschutz für die Abwehr von auf Geschäftsführerhaftung gestützten Schadensersatzansprüchen zu gewähren. Dem Versicherungsvertrag lagen AVB für die Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung von Unternehmensleitern und leitenden Angestellten (kurz: ULLA) zugrunde.
Da über das Vermögen der VN am 1. Mai 2011 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, lehnte die Vorinstanz (Entscheidung des OLG Frankfurt vom 21. März 2019, Az. 7 U 177/15) etwaige Ansprüche zum jetzigen Zeitpunkt ab: nach dem 1. März 2011 zahlte die VN keine Versicherungsbeiträge mehr. Bisher habe allerdings diesbezüglich noch keine Erfüllungswahl der Insolvenzverwalterin gem. § 103 InsO stattgefunden. Demnach falle der Versicherungsfall nicht in einen Zeitraum, in dem die VN die ihrerseits geschuldete Leistung erbracht habe.
Aufgrund der Modifikation der §§ 44, 45 VVG durch Ziff. 9.1 ULLA komme es laut BGH auf die vorstehenden Überlegungen jedoch gar nicht erst an.
Der BGH maß dem untersuchten Versicherungsvertrag die Qualität einer Versicherung für fremde Rechnung i.S.d. § 43 Abs. 1 VVG bei (vgl. auch BGHZ 214, 314 Rn. 13). Nach dem gesetzlichen Regelfall ist bei einem solchen gem. §§ 44 Abs. 1 Satz 1, 45 Abs. 1 VVG der VN befugt, die Rechte aus dem Versicherungsvertrag geltend zu machen. Im Insolvenzfall geht diese Verfügungsbefugnis des VN auch grundsätzlich auf den Insolvenzverwalter über, vgl. § 80 Abs. 1 InsO (BGHZ 214, 314 Rn. 12; Rixecker in Langheid/Rixecker, VVG 6. Aufl. 2019, § 44 Rn. 2). Allerdings werde dies vorliegend durch Ziff. 9.1 ULLA ausgeschlossen, worin vereinbart wurde, dass den Anspruch auf Versicherungsschutz nur die versicherten Personen geltend machen können. Für die Auslegung der Klausel müsse der Verständnismaßstab eines durchschnittlichen VN sowie der Versicherten einer D&O-Versicherung herangezogen werden (BGHZ 202, 122 Rn. 16).
Nach Auffassung des Senats sei die Klausel daher nicht als rein deklaratorisch, sondern dahingehend anzusehen, dass die §§ 44 Abs. 2, 45 Abs. 1 VVG verändert werden sollen (vgl. für eine ähnliche Klausel BGHZ 214, 314 Rn. 14 f.; Rixecker in Langheid/Rixecker, VVG 6. Aufl. 2019, § 44 Rn. 3). Die materielle Berechtigung der versicherten Person nach § 44 Abs. 1 Satz 1 VVG werde dadurch nicht ausgehebelt, sondern bleibe bestehen und werde durch Zuspruch der alleinigen Verfügungsbefugnis erweitert. Auch werde das Wahlrecht der Insolvenzverwalterin nicht beschränkt, weil der Versicherungsanspruch nach § 44 Abs. 1 Satz 1 VVG ohnehin dem Versicherten und nicht der VN zustünde (BGHZ 202, 122 Rn. 30 a.E.).
Mit diesem Urteil bezieht der BGH deutlich Stellung, dass auch im Insolvenzfall die Verfügungsbefugnis der versicherten Person zustehen kann. Dies entspricht den Interessen der Parteien, da so ihrem Recht auf Vertragsfreiheit Anerkennung gezollt wird. Auf diesem Weg kann das Recht der Vertragspartner auf Selbstbestimmung im Versicherungswesen gewährleistet werden. Insgesamt betont der BGH damit den Grundsatz der Privatautonomie. Die Entscheidung ist daher zu begrüßen.
Katharina Kruse
Liebe Katharina Kruse,
vielen Dank für diesen ausführlichen und informativen Beitrag.
Beste Grüße
Winfried