BGH, Urteil vom 27.06.2018 – IV ZR 222/16
In seinem Urteil vom 27. Juni 2018 (IV ZR 222/16) setzt sich der BGH unter anderem mit der Frage auseinander, ob die Übertragung der VN-Stellung oder der Bezugsberechtigung im Erlebensfall bei der Lebensversicherung auf die Person eines anderen – in entsprechender Anwendung des § 150 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 VVG – einer Einwilligung der versicherten Person bedarf.
Dem Urteil liegt ein komplexer, in seinen Details verwobener Sachverhalt zugrunde. Stark verkürzt geht es dabei um die Klagen zweier – ursprünglich im Todes- und Erlebensfall bezugsberechtigter – Personen gegen die Witwe des verstorbenen VN und den Versicherer auf Zahlung bzw. Hinterlegung der Ablaufleistungen.
Erstinstanzlich hatte das LG Frankfurt a.M. die Klagen abgewiesen. Das OLG Frankfurt a.M. bestätigte diese Entscheidung. Nach Auffassung des Berufungsgerichts sei die Witwe des Verstorbenen als Alleinerbin VN geworden und habe die Versicherungen daher wirksam auf eine andere Person als VN übertragen sowie die Bezugsberechtigungen ändern können.
In seinem Urteil behandelt der BGH zunächst die Frage, ob ein Feststellungsinteresse des Bezugsberechtigten einer Lebensversicherung in Bezug auf die Person des VN besteht. Insoweit sei als Gegenstand einer Feststellungsklage zwar auch ein Rechtsverhältnis zwischen einer Partei und einem Dritten anzuerkennen, wenn es zugleich für die Rechtsbeziehungen der Prozessparteien untereinander von Bedeutung ist und der Kläger ein rechtliches Interesse an einer alsbaldigen Klärung dieser Frage hat (vgl. auch BGH NJW 1996, 2028). Allein ein tatsächliches Interesse des Bezugsberechtigten daran, wer als VN Verfügungen über den Versicherungsvertrag vornehmen kann, reiche jedoch nicht aus; die Identität des VN als solche habe keine rechtlichen Auswirkungen auf das Bezugsrecht des Klägers. Bezüglich der Person des VN bestehe daher kein Feststellungsinteresse.
Weiterhin, so der BGH, habe das Berufungsgericht die Klagen im Ergebnis zu Recht als unbegründet abgewiesen. In diesem Kontext setzt sich der BGH mit einer analogen Anwendbarkeit des § 150 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 VVG auseinander. Nach § 150 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 VVG ist eine schriftliche Einwilligung des anderen zur Wirksamkeit des Vertrages erforderlich, wenn die Lebensversicherung für den Fall des Todes eines anderen genommen wird. Die Bestimmung erfasst nach ihrem eindeutigen Wortlaut („genommen“) im direkten Anwendungsbereich nur den Abschluss des Versicherungsvertrages (vgl. Patzer in Looschelders/Pohlmann, 3. Aufl. 2016, § 150 Rn. 2). Für abweichende Konstellationen wird jedoch eine analoge Anwendung diskutiert (allg. dazu Brömmelmeyer in Beckmann/Matusche-Beckmann, 3. Auflage 2015, § 42 Rn. 45).
Umstritten und im vorliegenden Fall relevant ist insoweit, ob die Vorschrift auf eine spätere rechtsgeschäftliche Übertragung der VN-Stellung oder der Bezugsberechtigung entsprechend anwendbar ist. Nach einer Ansicht soll § 150 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 VVG generell nicht entsprechend auf Änderungen nach Abschluss des Lebensversicherungsvertrages anwendbar sein (Winter in Bruck/Möller, Bd. 8/1 9. Aufl. 2013, § 150 Rn. 17, 19; Prang in van Bühren, 7. Aufl. 2017, § 14 Rn. 102; Hülsmann NVersZ 1999, 550, 552). Nach einer anderen Auffassung soll hingegen jede rechtsgeschäftliche Änderung der Umstände, die bereits bei Vertragsschluss von der Einwilligung umfasst sein mussten, ihrerseits einwilligungsbedürftig sein (Müller NVersZ 2000, 454, 458 zu § 159 Abs. 2 Satz 1 VVG a.F.; für die Unfallversicherung auf Dritte: Leverenz in Bruck/Möller, Bd. 9 9. Aufl. 2011, § 179 Rn. 197). Einer differenzierenden dritten Ansicht zufolge sollen nur solche Änderungen einwilligungsbedürftig sein, die das Risiko der versicherten Person beeinflussen (Patzer in Looschelders/Pohlmann, 3. Aufl. 2016, § 150 Rn. 2; Langheid in Langheid/Rixecker, 5. Aufl. 2016, § 150 Rn. 5; Schneider in Prölss/Martin, 30. Aufl. 2018, § 150 Rn. 15).
In seiner Entscheidung schließt sich der BGH der letztgenannten Auffassung an. Für das Einwilligungserfordernis maßgeblich sei nach der Vorstellung des Gesetzgebers das Schutzbedürfnis der versicherten Person (vgl. BT-Drucks. 16/3945 S. 95). Das Einwilligungserfordernis ziele darauf ab, die Spekulation mit dem Leben anderer zu unterbinden. Insbesondere solle es der Gefahr der möglichen Herbeiführung des Versicherungsfalls durch den VN oder einen sonstigen Beteiligten entgegenwirken. Die zu versichernde Person solle sich dieser Gefährdung bewusst werden und das Einwilligungsrisiko abwägen können. Daher reiche die entsprechende Anwendung von § 150 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 VVG auf spätere Änderungen des Versicherungsvertrages oder der Bezugsrechtsbestimmungen nur soweit, wie der Gesetzeszweck durch eine solche Änderung betroffen ist. Die Vorschrift sei nur dann entsprechend anzuwenden, wenn vorgenannter Schutzzweck danach verlange (Patzer in Looschelders/Pohlmann, 3. Aufl. 2016, § 150 Rn. 2; Schneider in Prölss/Martin, 30. Aufl. 2018, § 150 Rn. 15), soweit also solche das Risiko der versicherten Person beeinflussenden Umstände abgeändert würden. Dies sei insbesondere bei Änderungen der Fall, die sich darauf auswirken, wer im Versicherungsfall profitiert und in welcher Höhe.
Die Änderung des im Todesfall Begünstigten könne bei einer Lebensversicherung auf den Tod eines anderen demnach eine Spekulation mit dem Leben eines anderen sein. Folgerichtig erfordere die Übertragung der VN-Stellung oder der Bezugsberechtigung im Erlebensfall hingegen keine Einwilligung der versicherten Person. Ein Wechsel des VN sei als solcher nicht zustimmungspflichtig, da hiermit keine Risikoerhöhung für die versicherte Person verbunden sei, solange der VN nicht im Todesfall begünstigt ist; Entsprechendes gelte für eine Änderung des Bezugsberechtigten im Erlebensfall. Im betreffenden Fall habe die beklagte Witwe und Alleinerbin des verstorbenen VN demnach sowohl die VN-Stellung als auch die Bezugsberechtigung im Erlebensfall wirksam auf den Onkel der Kläger übertragen können. Im Gegensatz dazu sei die Änderung der Bezugsberechtigung im Todesfall – vorliegend zugunsten der Kinder des genannten Onkels – mangels Einwilligung der versicherten Person zwar unwirksam gewesen. Da Ansprüche auf die Todesfallleistungen nicht in Rede standen, habe dieser Umstand jedoch keinerlei Auswirkung auf die rechtliche Bewertung im vorliegenden Urteil.
Mit seinem Urteil bezieht der IV. Zivilsenat des BGH in der Frage nach einer analogen Anwendbarkeit des § 150 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 VVG auf Änderungen nach Abschluss des Lebensversicherungsvertrages klar Stellung. Dabei führt der Senat seine Rechtsprechung in Bezug auf die Ratio des Einwilligungserfordernisses konsequent fort (zur Vorgängerregelung des § 159 Abs. 2 Satz 1 VVG a.F.: BGHZ 140, 167; VersR 1997, 1213; VersR 1989, 465; NJW-RR 1995, 476).
Nikolaus von Bargen