BGH, Urteil vom 19. Juli 2023 – IV ZR 384/22 = NJW-RR 2023, 1266
In seinem Urteil vom 19. Juli 2023 widmete sich der BGH dem Fall einer selbstfahrenden Erntemaschine, einem sogenannten Traubenvollernter. Die Auslegung einer AKB Klausel (Allgemeine Bedingungen für die Kfz-Versicherung) stand dabei im Fokus. Konkret ging es darum, ob die Haftpflichtversicherung des Halters für Schadensersatzansprüche aufgrund von Beschädigung des mitgeführten Ernteguts greift, wenn die Arbeitsweise der Maschine insgesamt als Beförderung des Ernteguts anzusehen ist.
Der klagende Versicherungsnehmer machte Deckungsansprüche aus seiner Kfz-Haftpflichtversicherung gegen den beklagten Haftpflichtversicherer geltend. Der Kläger setzte im Oktober 2019 einen selbstfahrenden Traubenvollernter bei Erntearbeiten ein. Hierbei kam es zu Verunreinigungen der gelesenen Trauben, da im Maschinenbereich des Vollernters Hydrauliköl austrat. Durch das spätere Zusammenführen verschiedener Traubenerntechargen in einem externen Sammelbehälter wurde die gesamte Ernte des Weinbergs unbrauchbar. Die Inhaberin des Weinguts nahm den Kläger auf Ersatz des Schadens in Anspruch. Der Beklagte Haftpflichtversicherer berief sich gegenüber den geltend gemachten Deckungsansprüchen auf den in Teil B Nr. 11 Abs. 4 Hs. 1 AKB vereinbarten Leistungsausschluss.
Hierzu Auszüge aus den zugrundeliegenden AKB:
„10. Welche Risiken sind versichert?
Umfang der Versicherung
(1) Die Versicherung umfasst die Befriedigung begründeter und die Abwehr unbegründeter Schadensersatzansprüche … wenn durch den Gebrauch des im Vertrag bezeichneten Fahrzeugs:
a) …
b) Sachen beschädigt oder zerstört werden oder abhanden kommen,
c) …
11. Ausgeschlossen von der Versicherung sind: (…)
(4) Haftpflichtansprüche wegen Beschädigung, Zerstörung oder Abhandenkommen von mit dem versicherten Fahrzeug beförderten Sachen, mit Ausnahme jener, die mit Willen des Halters beförderte Personen üblicherweise mit sich führen oder, sofern die Fahrt überwiegend der Personenbeförderung dient, als Gegenstände des persönlichen Bedarfs mit sich führen.“
Das Landgericht Bad Kreuznach (Urt. v. 30.3.2021 – 2 O 306/20, BeckRS 2021, 54693) hat die Klage auf Feststellung der Einstandspflicht der Beklagten abgelehnt. Auf Berufung des Klägers hat das OLG Koblenz (Urteil vom 20.06.2022 – 12 U 532/21, VersR 2022, 1158) die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Die Beklagte legte Revision beim BGH ein, welcher das Berufungsurteil aufhob, und die Sache zurück an das OLG Koblenz verwies.
Der BGH kam zu dem Schluss, dass bei einer selbstfahrenden Erntemaschine die Einstandspflicht des Haftpflichtversicherers gemäß Teil B Nr. 11 Abs. 4 Hs. 1 AKB für Schadensersatzansprüche wegen Beschädigung mitgeführten Ernteguts entfalle, wenn sich die Arbeitsweise der Maschine insgesamt als Beförderung des Ernteguts darstelle. Nach Auslegung der Versicherungsklausel Teil B Nr. 11 Abs. 4 Hs. 1 AKB sei die nicht behebbare Verunreinigung mitgeführter Trauben durch im Maschinenbereich eines Vollernters austretendes Hydrauliköl eine bedingungsgemäße Zerstörung von mit dem versicherten Fahrzeug beförderten Sachen.
Entscheidend sei, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer die Ausschlussklausel bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehe. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass es sich bei Teil B Nr. 11 Abs. 4 Hs. 1 AKB um eine Risikoausschlussklausel handele, welche nicht weiter auszulegen sei, als es ihr Sinn unter Beachtung ihres wirtschaftlichen Zwecks und der gewählten Ausdrucksweise erfordere (BGH NJW-RR 1994, 1302 = VersR 1994, 1058; BGH NJW 2023, 366 Rn. 17 = VersR 2023, 41; BGH NJW 2021, 2584 Rn. 21 = VersR 2021, 900). Diesem Risikoausschluss liege der Gedanke zugrunde, dass die Haftpflichtversicherung eines Kraftfahrzeugs nicht dazu bestimmt sei, dem VN das normale Unternehmerrisiko abzunehmen, er also nicht von Ansprüchen Dritter wegen Schlechterfüllung freigestellt werden solle (BGH NJW-RR 1994, 1302 = VersR 1994, 1058 Rn. 14).
Ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter VN verstehe unter dem Befördern einer Sache, dass diese mithilfe eines hierfür eingesetzten Transportmittels von einem Ort zum anderen gebracht werde. Der Vollernter ist ein Transportmittel und der Zweck des Erntevorgangs sei die bewirkte Ortsveränderung der Trauben nach deren Trennung vom Rebstock. Auch während des Transports zum Auffangbehälter seien die Trauben durch den Vollernter befördert worden, weil die mit der zeitgleichen Fortbewegung des Vollernters verbundene Ortsveränderung hinreichender Betriebszweck gewesen sei.
Nach dem Bedingungswortlaut seien Schäden an mit dem versicherten Fahrzeug beförderten Sachen einschränkungslos vom Versicherungsschutz ausgeschlossen. Ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter VN werde also schon dem Wortlaut von Teil B Nr. 11 Abs. 4 Hs. 1 AKB nach keine Beschränkung des Risikoausschlusses auf solche Schäden entnehmen, die einen Zusammenhang mit der Beförderung der Sache aufweisen.
Die bewirkte Ortsveränderung durch das Mitführen der Trauben sei ausschließlicher Zweck des Erntevorgangs durch den Vollernter. Entgegen den Ausführungen des OLG Koblenz liege keine künstliche Aufteilung eines einheitlichen Erntevorgangs vor, da sich die Arbeitsweise des Vollernters insgesamt als Beförderung des Ernteguts darstelle. Aufgrund dessen greife auch das Argument des OLG Koblenz nicht, dass ein Versicherungsschutz ausschließender Transport noch nicht vorläge, solange die Verunreinigung der Trauben im Gerät selbst erfolgt sei, bevor die Trauben innerhalb des Vollernters in dem Auffangbehälter zwischengelagert worden seien.
Der BGH kommt zu dem Schluss, dass die Verunreinigung der geernteten Trauben während des Transports zum Auffangbehälter innerhalb des Vollernters als Zerstörung einer mit dem versicherten Fahrzeug beförderten Sache anzusehen sei. Die Ausschlussklausel Teil B Nr. 11 Abs. 4 Hs. 1 AKB greife zugunsten des beklagten Haftpflichtversicherers, da die Trauben mit dem versicherten Fahrzeug beförderte Sachen darstellen und sich die Arbeitsweise des Vollernters insgesamt auch auf die Beförderung des Ernteguts beziehe. Darüber hinaus hatte das OLG Koblenz zusätzlich die Frage offengelassen, ob der Ausschluss nach Teil B Nr. 11 Abs. 4 Hs. 1 AKB hinsichtlich eines Teils der geernteten Trauben nicht greife, weil nur einige der geernteten Trauben unmittelbar im Rahmen des Erntevorgangs verunreinigt worden seien und erst das Zusammenschütten des Ernteguts im außerhalb der Maschine befindlichen Sammelbehälter zu einer Verunreinigung der übrigen Trauben geführt hätte. Damit war die Sache ebenfalls nicht entscheidungsreif und wurde an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der BGH teilte im Ergebnis die Auffassung der Erstinstanz, welche sich bereits an einer vorherigen Entscheidung des vierten Zivilsenats (BGH NJW-RR 1994, 1302 = VersR 1994, 1058) orientierte und hob das Urteil des OLG Koblenz auf.
Philip Amon Micevic