BGH, Urteil vom 29.04.2020 – IV ZR 5/19
In dem Urteil vom 29.04.2020 befasste sich der BGH mit der Berechnung von Nutzungsersatzansprüchen aus § 818 Abs. 1 BGB nach Ausübung des unbefristeten Widerspruchsrechts aus § 5a VVG a.F. Diese Berechnung könne nicht lediglich auf die betriebswirtschaftliche Kennzahl der Eigenkapitalrendite der Versicherung gestützt werden.
In dem zugrundeliegenden Sachverhalt verlangte der VN von der Versicherung die Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge und die Herausgabe gezogener Nutzungen. Nachdem der VN ordnungsgemäß gekündigt hatte, übte er außerdem sein Widerspruchsrecht aus. Mangels ordnungsgemäßer Belehrung bestand das Widerspruchsrecht noch im Zeitpunkt seiner Ausübung. Die Regelung in § 5a Abs. 2 S. 4 VVG a.F., die nach einem Jahr nach Zahlung der ersten Prämie das Erlöschen des Rechts zum Widerspruch vorsah, ist nach der Rechtsprechung des BGH auf Lebens- und Rentenversicherungsverträge nicht anwendbar (BGH, Urteil vom 07.05.2014 – IV ZR 76/1) (Siehe weitergehend zu dieser Thematik auch: https://www.ivr-blog.de/2016/08/partielle-nichtanwendung-von-§-5a-abs-2-satz-4-vvg-a-f-im-bereich-der-lebensversicherungen-verfassungsrechtlich-nicht-zu-beanstanden/).
Demnach entfiel der Rechtsgrund für die Prämienzahlungen des VN und das Rechtsverhältnis war nach §§ 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2, 818 BGB rückabzuwickeln. Der VN machte neben dem Anspruch auf die Rückzahlung von Prämien auch einen Anspruch auf Herausgabe gezogener Nutzungen aus § 818 Abs. 1 BGB geltend. Für den begehrten Nutzungsersatz differenzierte der BGH nach Art des jeweiligen Prämienanteils. So seien Nutzungen aus dem Risikoanteil an der Prämie beispielsweise schon deshalb nicht herauszugeben, weil es sich dabei um Wertersatz für den vom VN faktisch genossenen Versicherungsschutz handelt. Für den Anfall und die Höhe tatsächlich gezogener Nutzungen aus der Prämie liegt die Beweis- und Darlegungslast ferner beim VN (Armbrüster, Bereicherungsrechtliche Rückabwicklung von Lebensversicherungen, NJW 2015, 3065 (3067)).
Vorliegend berechnete der VN die vermeintlich gezogenen Nutzungen durch Abstellen auf die Eigenkapitalrendite der Versicherung. Die Eigenkapitalrendite ist eine betriebswirtschaftliche Kennzahl, die den Gewinn im Verhältnis zum eingesetzten Eigenkapital beschreibt (Gabler, Versicherungslexikon 2. Aufl. S. 253). Aufgrund der vielseitigen und unterschiedlichen Einflüsse auf diese Kennzahl – wie etwa des Verkaufs von Unternehmensanteilen – berücksichtigte die Berechnung des VN dadurch Beträge und Vorgänge, die sich unter keinen Umständen als Resultat der Verwendung der Prämienanteile verstehen ließen (vgl. auch OLG Karlsruhe: Urteil vom 27.09.2019 – 12 U 78/18). Der BGH kontrastierte diesen Befund ferner mit dem Fall eines Aktionärs, dem sehr wohl die Eigenkapitalrendite Aufschluss über die Verzinsung seiner Investition geben könne. Einem solchen sei der VN jedoch gerade nicht gleichzustellen, da er mit seiner Prämienzahlung keine Investition in das bilanzierte Eigenkapital der Versicherung getätigt habe.
Eine selbstständige Rechtsprechungsentwicklung aufgrund der Eigenheiten versicherungsrechtlicher Fälle ließ sich bereits zuvor erkennen. Bei der Nutzungsherausgabe von Kreditinstituten hatte der BGH eine tatsächliche Vermutung aufgestellt, wonach Nutzungen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz berechnet werden könnten (BGH, Urteil vom 12.5.1998 – XI ZR 79–97). Diese Vermutung lässt sich jedoch nicht auf die Herausgabe von Nutzungen aus Prämien übertragen, weil Versicherungen keine Kreditgeschäfte tätigen (Schwab, MüKo BGB § 818 Rn. 20). Dies hatte der BGH schon in einem ähnlich gelagerten Fall entschieden (BGH, Urteil vom 29.7.2015 – IV ZR 384/14).
Mit dem nun ergangenen Urteil bringt der BGH weitere Klarheit bei der Berechnung von Ansprüchen, die sich aus der Ausübung des „ewigen“ Widerspruchsrechts ergeben. Die Rechtsprechung des BGH zeigt auf, dass sich eine Berechnung der gezogenen Nutzungen auf die tatsächliche Ertragslage der Versicherung beziehen muss. Ohne dieses Element ist jegliche Berechnung unzureichend. Eine Schätzung aufgrund der Eigenkapitalrendite eignet sich dafür nicht. Dies wurde zuvor von den Oberlandesgerichten noch uneinheitlich gesehen (vgl. die Ausführungen der Vorinstanz OLG Köln, Urteil vom 07.12.2018 – 20 U 76/18).
Zukünftige Anspruchsteller sind gut beraten, bspw. anhand von Jahresberichten der Versicherung so genau wie möglich die durchschnittliche Verzinsung von Eigenkapitalanteilen nachzuvollziehen, um den Anforderungen des BGH bei der Darlegung des Anspruchs zu genügen.
Sinan Hatun